Renken Sie auch ein?
Immer öfter klingelt bei mir das Telefon und ich werde danach gefragt, ob ich denn auch Wirbel einrenke? Wenn ich das verneine, höre ich ein tiefes durchatmen und Erleichterung. Das sind Kunden, die damit schon schlechte Erfahrungen oder eben keinen Therapieerfolg gehabt haben. Wenn ich dann meine sanfte Behandlungsart erkläre, kommt es zum Termin.
Bei den anderen Kunden frage ich nach, was denn eingerenkt gehört, bzw. wie sie darauf kommen. Nicht selten ist es eine Diagnose des Reitlehrers, dass die Lendenwirbel ausgerenkt seien und das Pferd deshalb nicht untertrete. Ich frage dann nach, ob das Pferd noch stehen kann oder ob es nur noch liegt. Das wäre dann der Fall, wenn ein Wirbel tatsächlich ausgerenkt ist. Die durch den Wirbelkanal laufenden Nerven würden gequetscht, das Pferd hätte unsägliche Schmerzen und es käme zur Lähmung.
Dies ist eigentlich selten der Fall, sondern nur eine unqualifizierte Redenswendung.
Was ist es dann? Nun, einfach eine Wirbelblockade. Wer nun denkt, „mit einem Ruck“ ist alles gut, landet über Irrwege in einer Sackgasse. Diese „Einrenkungsmanöver“ bewirken einen Entzündungsprozess im Gewebe (Mikrotrauma), der oft zum späteren Dauerschaden wie überdehnte Gelenkbänder oder Belastungen im Gelenkknorpel führen können. Falsch ausgeführte Dehnungen übrigens auch! Wieso sollte ich so ein Risiko eingehen, wenn ich doch nur die Ursache finden muss. Vielleicht habe ich Glück und der Besitzer hat beobachtet, dass das Pferd gestürzt, weggerutscht oder getreten worden ist. Durch diese plötzliche Bewegung kann ein Wirbel tatsächlich verkanten oder sich verschieben, wenn der natürliche Schutzreflex zu langsam war. Das Gehirn schaltet zum nächsten Reflex: „reflektorisch muskulärer Hartspann“. Das ist auch nichts Nettes, aber das kann man ganz sanft behandeln und lösen. Mit einer fachkundigen Massage und Techniken der manuellen Therapie, wird der Muskel wieder zum Leben erweckt. Das beleidigte Gelenk wird locker und normale Bewegung damit wieder möglich. Oft hört man sogar ein Knacken oder spürt es unter den Händen, wenn das steife Wirbelsegment wieder in seine Position gerutscht ist und damit mobilisiert wurde. Und das ganz sanft und ohne einrenken.
Für den Besitzer unangenehmer wird es, wenn das Pferd schon länger kompensieren musste. Sei das der unpassende Sattel, schlechte Hufbalance, Zahnprobleme oder simpel falsch verstandenes Reiten. Da mach ich mir im ersten Moment keine Freunde… Denn hier gibt es keine einfache Sofortlösung.
Nun, für euch eine kleine Blickschulung. Stellt euch schräg seitlich von vorn zum Pferd und betrachtet mal die Wirbelsäule des Rückens. Seht ihr da so Hubbel die hochstehen? Wenn ja, fühlt mal mit 2 Fingern vom Widerrist zur Kruppe, direkt auf der Wirbelsäule entlang. Spüren eure Finger eine Art „Berg und Tal“? Prima, das sind Wirbelblockaden. Jetzt streicht mal eine handbreit unter den Hubbeln über den Rückenmuskel des Pferdes. Spürt ihr den muskulären Hartspann, reagiert das Pferd druckempfindlich? Gut, dann überlegt mal, was da schiefgelaufen ist oder besser – ruft mich an (:
Oft laufen diese Pferde „nicht mehr rund“, haben Probleme im Galopp und/oder den Seitengängen. Sie zeigen einen mehr oder weniger matten Rücken und haben oft einen Hängebauch vor Schmerzen. Auf so ein Pferd will man sich doch nicht setzen und auch noch Spass haben!
Wenn ihr also von Therapeuten hört, dass sie etwas „Ausgerenktes“ wieder einrenken wollen, oder dass sie die Wirbelsäule wieder „ins Lot bringen“, lasst die Finger davon, die haben maximal einen Wochenendkurs besucht und den nicht mal verstanden.
Ein verantwortungsbewusster Therapeut nimmt sich Zeit, inszeniert sich nicht zum Helden und braucht auch keine Show. Unsere Arbeit dauert lange, ist nicht spektakulär und deshalb beim Zuschauen langweilig. Und wenn ihr es mit „Hände auflegen“ verwechselt, schaut genau hin, wir fühlen ins Gewebe, lösen Verklebungen und bringen wieder Lymphe in die Faszien. Das Pferd entspannt sich dabei, leckt und signalisiert Wohlbefinden. Und wenn es dann auch wieder unter Anleitung in eine lockere Bewegung findet, habt ihr gut investiert und hoffentlich viel gelernt.
Herzlich grüßt euch,
Petra Stegmüller
Physio- und Osteo-Therapeutin für Pferde; VFD ÜL
www.pferde-unser-leben.de; Tel. 09852-4165
(Artikel für VFD Jahrbuch)