Faszien

Wenn der Therapeut mit dem Nudelholz kommt,
oder: was ist dran am Faszien-Boom?

Wenn Reitschüler zu meinen Kursen kommen, in denen ich versuche, das Verständnis für Biomechanik mit Reiten zu kombinieren, bin ich schon froh, wenn sie das Silberhäutchen am Hähnchenschenkel als Faszie benennen können. Nun liest man in jeder Pferdezeitung wie man Faszien trainiert bzw. behandelt. Ich denke, es ist höchste Zeit, das jetzt genauer zu beleuchten.

Fangen wir mal mit dem Begriff Faszie an. Das “Silberhäutchen” trennt z.B. Muskelschichten voneinander. Weiter drin im Muskel gibt es wieder Faszien, die einzelne Muskelfasern umhüllen; dann gibt es Faszien, die über all dem noch mal drüber liegen und Muskelketten sowie ihre Gegenspieler vernetzen. Man muss sich das wie ein dreidimensionales Netz vorstellen, es verbindet auch Gelenke und Knochen. Für uns Pferdetherapeuten sind es die Faszien, die dafür sorgen, “dass alles mit allem zusammenhängt”. Ein Lahmen hinten rechts kann also über die Faszienverbindung seine Ursache durchaus vorne links haben.

Was auch meist in Verbindung mit dem Wort Faszie zu lesen ist, ist, dass sie “schwach” sind oder “verfilzt”, dass sie trainiert oder behandelt werden müssen und irgendwie ein “Patient” sind.

Geht man mal von der “Faszination Faszien” aus, so sind sie ein Körper im Körper. Sie sind das größte Organ hinsichtlich Sinneswahrnehmung und Bewegung. Sie sind wie ein “innerer Ozean” und dienen der Heilung. Das Fasziengewebe ist Bindegewebe und es arbeitet intensiv mit dem Lymphsystem zusammen.

Viele Wissenschaftler arbeiten seit Jahren an diesen Hintergründen, bündelten und bewiesen ihre Erkenntnisse im Jahr 2007 beim ersten Faszienkongress in Boston. Vielleicht habt ihr schon von Dr. Robert Schleip, Carla Stecco oder Thomas W. Myers gelesen. In den “Körperwelten” von Gunter von Hagens sind diese Gewebe sehr anschaulich sichtbar geworden. Obwohl in den Körpern alles entfernt wurde, bleibt durch das Bindegewebe die Form gleich einem Taucheranzug erhalten. Faszinierend diese Faszien! Oder ein derart präpariertes Pferd, das durch sein bindegewebiges “Gestell” stehen kann: Es kann ein Sattel aufgelegt werden und es kracht nicht zusammen. Wer sich traut, kann sich auch von oben mittels Kran draufhieven lassen – es hält. Faszinierend diese Faszien – sie sind unser “innerer Halt”.

Diese neuartige Sichtweise wird allerdings auch einiges umkrempeln in der denkenden Reiterwelt. Und es wird einigen nicht gefallen. Das ist ein altes Phänomen, wie ein Zitat von Herophilus 300 v. Chr. ausdrückt: Jede neue Erkenntnis muss zwei Hürden überwinden: Das Vorurteil der “Fachleute” und die Beharrlichkeit eingeschliffener Denksysteme.

Vertieft man sich gedanklich noch mehr in dieses “Kommunikationsnetz des Lebens”, kommt man endlich weg von der Vorstellung eines Knochengerüstes, das man “einrenken” kann. Man kommt hin zu einem reibungslosen Gleiten aller Teile im Spinnennetz des Bindegewebes, ohne Anfang und ohne Ende. So wäre die Idealvorstellung. Doch damit ist ja kein Geld zu verdienen.

Aber wozu gibt es denn nun all die neu erfundenen Faszientrainingskurse, Faszienrollen, Faszienbehandler und Fasziengerätschaften?

Bindegewebe kann eben auch erkranken und schmerzen (nur gut, dass man den Stuten die Cellulite nicht ansieht – was würde es da an Zusatzmittelchen geben).

Mehr als jeder Muskel ist das Bindegewebe mit Nerven und Rezeptoren durchzogen. Gleitet also z.B. die breite Rückenfaszie nicht mehr frei, weil der Reiter oder Sattel drauf drückt, so senden Schmerzrezeptoren einen quälenden Impuls, der auch uns Menschen nicht fremd ist. Neben dem “Ursachenforschen” ist dann ein guter Therapeut gefragt, der mittels manueller Griffe das Gewebe entspannt und wieder gleitfähig macht. Denn es gibt als gute Nachricht auch die Erkenntnis, dass sich Faszien im gesunden Körper alle 6 bis 24 Monate erneuern.

Nun kann das Bindegewebe auch verfilzen oder verkleben. Schuld daran sind die “Fibroblasten”. Wenn sie Störungen in einem Körperteil bemerken, seien es (OP-) Wunden oder Fehlhaltungen, dann produzieren sie Massen an Kollagen und ziehen wie eine Spinne das Netzwerk zusammen. Ein einfaches Bild hilft vielleicht zum besseren Verständnis. Stellt euch vor, Ihr legt eine große Tischdecke aus. Dann zieht ihr entweder an einer Ecke oder knöddelt irgendwo in der Mitte. Es bilden sich Falten, es verkürzt sich, es zieht. Was würden wir dagegen machen? Genau: Es wieder gerade ziehen, ausstreichen und glätten. Nichts anderes macht der geschulte Therapeut. Er kann gezielt dehnen und – lange als schädlich verrufen, jetzt wieder neu gewünscht: – er soll auch an der Bewegungsgrenze rhythmisch nachfedern. Und wenn er dann aus seiner Handwerkskiste noch ein “Nudelholz” rauskramt, wisst ihr, der ist nicht total abgedreht, sondern auf dem neuesten Stand der Faszienbehandlung. Mit dem Nudelholz kann man sanften Druck ausüben, das Wasser, aus denen die Faszien zum großen Teil bestehen, aus der Schmierschicht herauspressen, um dann mit gesundem Rückfluss auch frisches Kollagen nachkommen zu lassen.

Eine weitere Lücke hinsichtlich der Faszie als Bewegungsorgan, wird der noch neu zu erfindende “Reitmeister der Faszienreitlehre” zu schließen haben. Es müsste eine kreative Ausbildungsskala entwickelt werden, in der die Rezeptoren für Wahrnehmung, Reaktion und Bewegung immer wieder neue Impulse erfahren, um als sechster Sinn fungieren zu können. Dann müsste man auch nicht ständig Angst haben und aufpassen, dass das Pferd nicht stolpert. Nein, das Pferd hätte dann genügend Körperintelligenz erworben, um als hochspezialisiertes Fluchttier nicht ständig über seine Füße zu fallen. Irgendwie fallen mir dazu aber auch Bilder von häufig bremsend sitzenden Reitern mit hohem Kontrollmodus in der Hand ein.

Kreativ zu reiten ist natürlich eine größere Herausforderung als einen vorgefertigten Ablaufplan zu haben, Lektionen zu pauken oder die Pferde in den Boden zu longieren. Kreatives Reiten unterscheidet sich vom traditionellen Muskeltraining mit Inhalten wie Kraft-, Koordinations- und Ausdauertraining.

Um Faszien zu trainieren braucht es ständig neue Reize, denn sie wollen sich neu verknüpfen. Sei es ein plötzlicher Richtungswechsel oder die Veränderung der Intensität. Gute Übungen sind z.B. einen Zirkel als Achteck zu reiten, sanfte Übergänge einzubauen, zu biegen und wieder gerade zu richten im Wechsel. Mir fällt eine Reitstunde ein, in der ich beim Üben von Galopppirouetten war. Mein Hirn hatte schon tausend Knoten und es wurde nix besser. Dann kam die Anweisung meiner Reitlehrerin: Reite doch mal “das Haus vom Nikolaus” im Galopp. Ihr glaubt gar nicht, wie oft mir meine Trainerin aus dem Weg springen musste. Es soll ja Leute geben, die haben da schon mit dem Bleistift Probleme.

Und was die Übung noch effektiv unterstützte war die Federkraft. Das alles geht nicht mit Zwangshaltungen und mechanischer Einfalt. Doch welcher Reiter heutzutage traut sich noch, das spüren zu wollen: Schwung, Federkraft, Sprungkraft, Urgewalt des Pferdes? DAS hat was mit Bewegung zu tun, mit Dynamik, nicht ein kopfhängender Schleichgang.

Ich weiß, jetzt werde ich wieder unbequem. Eine Reitschülerin kehrte mir deshalb kürzlich den Rücken: “Weißt Du, Petra, Reiten und Denken, das ist mir zu anstrengend.” Das ist für mich Ok, es muss ja auch noch jemand geben, der die eingefleischten Bahnfiguren pflegt.

Sollte euch das Thema neugierig gemacht haben, so könnt ihr das gerne am 2. und 3. April 2016 bei mir intensivieren oder auch bei euch einen Kurs zum Faszientraining organisieren.

Ansonsten wünsche ich euch und euren Pferden viele kreative Ideen, um stressfrei, ungewohnte Bewegungen zu kombinieren. Wenn ihr das schafft, trainiert ihr den Faszienkörper und müsst ihn nicht behandeln lassen.