Trageerschöpfung − oder: wenn das Fass übergelaufen ist

Schon vor Jahren hat meine Ausbilderin und Physiotherapeutin Tanja Richter vom IPP das Syndrom definiert. Nun hat es endlich ein breiteres Gehör gefunden, bestimmt unterstützt durch ihr lesenswertes, neues Buch Illusion Pferdeosteopathie.

Unter den Pferdebesitzern kenne ich drei Gruppen. Die, die sagen, das und das hat mein Pferd schon immer und läuft trotzdem. Die, die die Flöhe husten hören um endlich ihren Pflegetrieb ausleben zu können. Und zuletzt, die tatsächlich Ahnungslosen. Mein Bestreben ist, mit diesen Zeilen einen Mittelweg für das Verständnis der Dysbalance zwischen Skelett und Bewegungsmuskulatur zu finden. Denn die Trageerschöpfung ist reitweisenunabhängig, multifaktorell und liegt immer in der Verantwortung des Besitzers. Sie entsteht über einen längeren Zeitraum und ist mit wachen Augen den Pferden anzusehen:

  • Neben dem Widerrist sind Kuhlen, die Sattellage wirkt eingesunken und man sieht bzw. fühlt Hubbel entlang der evtl. hervorstehenden Wirbelsäule
  • unterhalb der Rippenbögen (die tonnig hervorstehen) ist ein harter Strang zu sehen oder zu fühlen, der für verspannte Bauchmuskeln steht; das Pferd ist oft kitzelig
  • die Vorhand ist vermehrt bemuskelt und stark verspannt
  • die Hosen, also die Sitzbeinmuskeln, treten als Relief hervor und sind bretthart
  • hinter der eingesunkenen Sattellage ist eine Aufwölbung im Lendenbereich und gleich danach eine Kuhle im Bereich des Kreuzbeins zu sehen, sowie eine Aufquellung vor der Schweifrübe
  • der Glanz in den Augen ist Resignation gewichen

Wenn ihr euer Pferd mit dieser Symptomatik vorfindet, ist es fünf vor zwölf für euer Handeln. Hat euer Pferd nur einige dieser äußeren Erscheinungen, spricht das definitiv auch für Fehler im Management und bereits erreichten Blockaden im Bewegungsapparat.

Was hätte man denn an der Bewegung erfühlen können:

  • Das Pferd geht kurztrittig, hölzern und läuft in den Boden; atmet schwer
  • Es stolpert oft und hat vermehrt Sehnenprobleme bis hin zu chronischen Lahmheiten
  • Es wird wenig Schwung von hinten entwickeln und durchlassen
  • Es dehnt und biegt sich ungern

Was habe ich als Reiter falsch gemacht?

  • Zuviel gegessen: idealerweise sitzt weniger als ein Fünftel des Pferdegewichtes im Sattel
  • Zuwenig geritten: Unterforderung baut keine tragenden Muskeln auf. Drei bis Fünf mal pro Woche abwechslungsreiches Training entspricht der Natur des Pferdes
  • Zuviel geritten: Für stundenlanges Tragenlassen ist der Rücken nicht gebaut
  • Zuviel Angst: klemmender Sitz, ständiger Zügelzug und zuwenig frischer Galopp
  • Zu wenig Ahnung von: passenden Sätteln, Reit- und Trainingslehre, Hufbalance, guter Haltung und Fütterung
  • Zulange schön geredet und nichts dagegen unternommen

Was kann ich tun?

  • Oben dargestellte Fehler abstellen und vertrauenswürdigen Pferdemensch zu Rate ziehen
  • Mit viel Glück einen fachkundigen Behandler suchen, der die Ursache herausfindet und sie auch schonungslos mitteilt. Einer, der die Muskulatur lockert, damit die Durchblutung fördert und Blockaden löst. Der euch einen Trainingsplan ausarbeitet und euch beim Neustart und Umdenken begleitet.
    Das Pferd nicht einfach nur wegstellen sondern umbauen
  • Schnell umblättern, weiter an die eigenen Ausreden und Bequemlichkeiten glauben und sich schon mal nach einem neuen Pferd umschauen (mit Rassemerkmal Unkaputtbar)…

Was hilft mir bei der Meinungsfindung?
z.B. das Seminar Trageerschöpfung oder funktionelle Anatomie. Hier werden wir den eigenen Blick schulen und Zusammenhänge zwischen Muskelphysiologie und Training herstellen.

(Artikel erschienen im VFD-Jahrbuch 2013)